Wir stehen alle am Kreuzweg

Gestern morgen wollte ich nicht aufstehen. Ich war müde, obwohl ich gut geschlafen habe. Aber hilft ja alles nichts. Ich musste unbedingt ein Rezept von meinem Arzt holen und auf die Bank. Wenn ich schon mal in der Stadt bin, kann ich auch schnell in den REWE – dachte ich mir. Ich esse seit 2 Monaten nur Dreck. Man kann ja mal TK Ware essen, aber wenn ich mal was esse, ist es nur TK Zeugs. Auf Dauer nicht gesund. Abgesehen davon habe ich zugenommen…das passt mir nicht. Ich sah die ganze Zeit keinen Sinn im kochen. Für mich alleine? Nein….ich habe nur vernünftig gegessen, wenn ich bei meinen Eltern war. Ich habe nun aber wieder Lust zu kochen. Im REWE habe ich mir einen Rinderbraten geholt. Dazu wollte ich Kartoffelpüree machen und einen Salat. Als ich wieder zu Hause war sah ich, daß ich Salz vergessen hatte…bin raus, in den Tante E Laden. Mariane saß an der Kasse und wir unterhielten uns kurz. Sie fragte mich, ob langsam wieder Normalität in mein Leben einkehrt. Ich wusste nicht so Recht was ich darauf antworten sollte. Ich sagte dann – ja, ich denke schon. Es muss ja irgendwie weitergehen.

Zu Hause fing ich gleich mit dem Braten an. Der braucht ja ewig und es war schon halb 1. Ich habe mir ein Kilo geholt. Der braucht 4 Stunden und ich habe dann auch gleich für morgen noch genug da..und übermorgen. Mir ging die Frage von Tante E nicht aus dem Kopf. Ich fing an nachzudenken über das Wort „Normalität“

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Veränderungen sind da sehr unpassend. „Veränderung“ heisst: Gewohnheiten verändern sich in dem Maße, daß sie abgelegt werden, oder bis zur Unkenntlichkeit verbogen werden. Das ist ein Prozess. Manche können sich schneller anpassen, manche nicht.

Rainer warf mir ja vor, ich hätte mich verändert. Sicherlich habe ich das. Ich habe es bei einigen Dingen wahrscheinlich nicht mal gemerkt. Aber das was für mich bisher normal war existiert nicht mehr. Ich bin auf dem Weg in eine neue Normalität..eine andere…eine veränderte…eine nur für mich geltende. Rainer kann damit nichts anfangen. Ich passe nicht mehr in seine Normalität, weil ich ja nicht mehr normal bin. So wie ich eben war, als mein Engel noch bei mir war. Ich habe aber keine Wahl. Ich muss meine Gewohnheiten hinter mir lassen und neue Gewohnheiten entwickeln. Rainer aber nicht. Für ihn ändert sich doch nichts, ausser das ein enger Kumpel gestorben ist ……aber auch wenn mein Engel nicht mehr bei mir ist, mache ich was ihn angeht doch alles wie immer.

Rainer geht auf Distanz seit neuestem. Er zieht sich zurück. Jeden Tag haben wir Kontakt, er wohnt ja gegenüber. Er zieht sich emotional zurück. Er ist freundlich zu mir, macht keine Andeutungen, oder geht mir sonst wie auf die Nerven. Es ist mir komisch, aber irgendwie finde ich es gut. Es verändert sich eben alles..Bricht am Ende die Freundschaft zwischen uns weg? Fände ich schade, aber wenn er nicht mehr ein Wegbegleiter sein wird, dann ist es eben so. Leute kommen und gehen. Einige bleiben nur kurz mit auf dem Weg, andere bleiben Jahrzehnte. Wir stehen nun alle an einer Kreuzung auf dem Weg des Lebens. Wege werden sich trennen, andere Wege fügen sich zusammen. So ist das einfach..aber dies wird für uns alle auch irgendwann „normal“ sein…spätestens dann, wenn wir uns alle in die veränderte, dann neue Normalität eingefügt haben.

Mein Gedankengang wurde unterbrochen, als mein Handy piepte. Ich schaute drauf und hatte eine WhatsApp von Avni. Er fragte mich, ob ich zu Hause wäre. Ich schrieb – ja – dann schrieb er, ob ich mal kurz kommen könnte. Ich schrieb wieder – Ja… Ich zog mir meine Schuhe an, schnappte mir meinen Mantel und ging vor. Ich nahm an, er hätte ein Problem bei dem ich behilflich sein sollte. Ich klopfte an seine Tür und er machte sie auf. Er sagte, komm in die Küche – ich habe uns etwas vorbereitet. Auf dem Esstisch standen 2 Teller mit Pasta, Gemüse und lecker Soße. Es dampfte noch. Ich war erstaunt und fragte, wie ich zu dieser Ehre komme, ob ein Weibchen kurzfristig abgesagt hätte – zwinkerte und lachte dabei. War ja auch nur als Scherz gemeint. Avni sagte – Nein, das habe ich für uns gemacht. Ich setzte mich an den Tisch und wir haben lecker gegessen. Er kann gut kochen. Nach dem Essen machte er uns einen Tee… Nachdem ich das Gläschen ausgetrunken hatte, bot er mir gleich noch einen an. Ich nahm gerne an, sagte aber – ich muss mal kurz rüber, meinen Ofen nachladen. Bis gleich.

Avni sagte, ich solle die Tür angelehnt lassen. Ich ging rüber zu mir, schob neues Holz in den Ofen, schaltete meinen Herd runter und ging wieder vor. Die Tür war angelehnt, ich klopfte aber trotzdem kurz und ging dann rein. Ich wollte wieder in die Küche. Avni rief mir zu, ich solle ins Wohnzimmer kommen. Er hat uns beiden einen Tee eingeschenkt und wir redeten über das Fernsehprogramm. Es lief ein Bericht über Gaddafi. Nach einer ganzen Weile, ich glaube ich war fast 2 Stunden bei ihm, wollte ich gehen. Ich stand auf, Avni auch. Ich reichte ihm meine Hand und bedankte mich für die Einladung. Ich sagte, wir könnten das ja mal wiederholen, hat mich sehr gefreut. Avni meinte – gerne.

Ich wollte dann den Handgriff wieder lösen, aber Avni hielt mich erst fest, dann ließ er meine Hand sanft aus seiner gleiten. Das hat er noch nie so gemacht. Ich hatte auf einmal ein seltsames Gefühl. Ich zog meinen Mantel an und wollte gehen. Avni wollte mir dann aber noch sein Schlafzimmer zeigen. Ich kenne seine Wohnung, aber wir hatten die Tage darüber gelacht, daß sein Schlafzimmer in Rosa angemalt ist. Er wollte mir dann zeigen WIE rosa es ist. Ein „echter Kerl“, Typ Türsteher, in einem rosa Schlafzimmer…ich lachte und sagte – naja, deinen Weibchen gefällt das sicherlich. Er schüttelte den Kopf und sagte, er hätte schon lange keine Weibergeschichten mehr. Ich ging aus dem Schlafzimmer raus und stand im Wohnzimmer. Avni kam nach und legte seinen Arm um mich. Nichts aufregendes, wie man es bei einem Freund macht, so seitlich über die Schultern. Er sagte, er müsse unbedingt streichen. Ich lachte nur kurz und strich ihm über seinen Rücken nach dem Motto – du machst das schon.

Dann zog er mich näher an sich ran und hielt mich fest. Er neigte seinen Kopf und küsste mich auf den Hals. Wir schaffen alles Hase, sagte er zu mir. Mir wurde in dem Moment auch wieder ganz anders. Ich habe mich nicht bedroht gefühlt, es hat mir gefallen…es hat mich verwirrt, was ich mir aber natürlich nicht anmerken ließ. Dann ging ich Richtung Tür und wollte los. Er muss mir noch was zeigen, sagte er und wir gingen ins Bad. Das ist die Scheiss Therme – sagte er – und zeigte mir, was daran so nervig war. Wir sprachen schon über dieses Kackding..das Teil ist wirklich für die Tonne, aber die Hausverwaltung kommt nicht zu Potte das zu richten. Danach standen wir noch eine Weile im Flur und ich hatte stark das Gefühl, daß er mich nicht gehen lassen wollte. Er stand mir immer sehr nah und berührte meinen Arm immer wieder…Irgendwann hatte ich es an die Tür geschafft und war draussen. Dann redeten wir noch eine Weile im Hof. Rainer kam vorbei und fragte mich, ob ich mal kurz Zeit hätte. Avni lachte und ich auch. Klar habe ich Zeit, bin gleich da. Avni und ich verabschiedeten uns endgültig und ich ging Heim zu mir.

Avni ist ein enger Freund. Er hat mich die letzten Wochen oft in den Arm genommen. Vorallem dann, wenn ich geweint hatte und er mich trösten wollte, ohne Worte. Einfach in den Arm nehmen…Er küsste mich manchmal auf den Hals, auf die Stirn, auf die Wange. Immer freundschaftlich. Gestern war das aber irgendwie anders..ich kann es nicht benennen, es war anders…Mein Engel und ich waren seine Familie..ich schrieb schon darüber. Avni sagte mir „früher“ oft, daß ich für ihn wie eine Schwester bin. Mein Engel war für ihn der „Onkel Hotte“. Es gab daran nie einen zweifel. Aber gestern, kamen ganz andere Gefühle auf… Ich dachte nur, vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Ich überlegte den ganzen Abend. Nein, es war anders. Da bin ich mir sicher. Es verwirrt mich, denn von Avni hätte ich das niemals erwaret. Ich muss auch eingestehen, es hat mir gefallen. Ich redete mit meinem Engel, was das soll. Warum macht er das? Fängt der jetzt auch an mir Avancen zu machen? Ich bin doch gar nicht sein Typ?!

Am späten Abend kam Avni bei mir vorbei. Rainer stand an seiner Tür. Ich machte meine Tür auf und Avni rief laut, sodaß es Rainer auf jeden Fall mit bekommt – was ist denn denn mit dir los? Du bist ja noch angezogen! Dabei zwinkerte er mich an. Ich lachte, sagte Tschüss zu Rainer und ließ Avni rein. Wir lästerten ein wenig über ihn. Es ist gemein, aber er provoziert das ja mit seinem Verhalten. Nach einer halben Stunde klopfte es an der Tür und Rainer stand davor. Kontrollbesuch wie ich jetzt immer sage. Lächerlich einfach. Nach ein paar Minuten ging er wieder. Kurze Zeit später klopfte es wieder an meine Tür und Avni meinte, warte warte – ich muss erst noch meine Hose ausziehen – nur zur reinen Provokation um Rainer auf die Palme zu bringen.

Ich lachte und sagte – ja nee lasse das lieber. Karl kam vorbei. Ich ließ ihn rein mit den Worten –  Hast du dich bei Rainer angemeldet? Wir lachten alle. Wir sprachen kurz über die Unterstellungen und Avni erzählte mir, daß er er ihm ein paar Takte die Tage gesagt hatte. Ich wäre nicht sein Eigentum, und was ich mache gehe ihn nichts an, auch wenn er ein Freund ist. Karl wollte auch noch mit Rainer reden, schließlich war er ja der Kern seines Ausrasters…aber er haut immer ab. Er meidet Karl…

Avni verhielt sich nun wieder ganz anders. So wie ich ihn kenne. Mit seinen Sprüchen, seinem Imponiergehabe und seinen Scherzen. Da war nichts von irgendwelchen Gefühlen zu spüren. Aber das ist normal…sobald jemand anderes dabei ist, verhält er sich anders mir gegenüber….aber bisher niemals so, wie gestern. Das war neu…

Bis dann

 

 

2 Gedanken zu “Wir stehen alle am Kreuzweg

  1. Das ist jetzt alles super einfach oder—- überhaupt nicht einfach. Bin der Meinung das Du wirklich nur Dir gehörst, das müssen alle wissen. Du befindest Dich im Ausnahmezustand und dann machst Du wie es Dir passt.! ! Ist eigentlich einfach. Alle wissen von dieser; Deinigen, Ausnahmesituation… die ja auch Emotionale Erfahrungen haben kann…in alle Richtungen. Das ist gar nicht einfach. Wenn Dir etwas gut tut ist es auch im Sinne von Deinem Schatz, er würde Dir nur gutes raten. Aber wie ich schon schrieb…..es ist alles nicht so einfach………..wenn Du zwischen meinen Zeilen lesen kannst.

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    • Hallo Pam, ich denke ich verstehe was du mir sagen willst, zwischen den Zeilen. Ich gehöre nur mir alleine und bin niemandem Rechenschaft schuldig, was ich mache…nur mir selbst gegenüber….auch wenn es moralisch verwerflich sein sollte, in den Augen der anderen – es ist meine Angelegenheit! Es ist alles scheinbar ganz einfach…und doch es ist das nicht…
      LG Veronika

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