Mittwoch und Donnerstag waren gute Tage. Schatz war gut drauf, lustig und entspannt. Zur Toilette musste ich ihn bringen, er konnte nur noch mit Unterstützung laufen. Den Klogang selbst hat er alleine geschafft. Er hat sich an meinen Schultern festgehalten und so ging es ganz gut. Polonaisemäßig.
Freitagmorgens, gegen 5 Uhr früh, weckte mich Schatz, weil er aufs Klo musste. Ich stand also auf und half ihm hoch. Ich spürte wie er sich an meinen Schultern festkrallte und dann los ließ. Ich drehte mich um und in dem Moment sah und hörte ich wie er auf dem Boden aufschlug. Er ist gestürzt, konnte sich nicht halten. Hätte ich das geahnt, hätte ich ihn anders geführt…der Sturz ist meine Schuld..aus Unerfahrenheit und aus „nicht daran gedacht, daß das passieren könnte“, obwohl er schon mal gestürzt war. Glimpflich…
Er lag auf der linken, der gelähmten, Seite. An seinem Ellenbogen hat er eine 3 cm lange Wunde. Seinen Kopf hat er sich auch gestoßen. Es war ein schreckliches Bild. Ich habe ihm hoch geholfen, was erstmal ein Akt war. Wieder zurück im Bett musste er er auch erstmal nicht mehr aufs Klo. Er hat laut gestöhnt vor Schmerzen, ist aber sofort wieder eingeschlafen. Eine halbe Stunde später ist er aufgewacht und ihm war sehr übel, er hat sich erbrochen. Auch über wahnsinnige Kopfschmerzen hat er geklagt und seine linke Seite tat weh. Schmerzmittel wollte er nicht, hätte er auch nicht in sich behalten.
Egal was, ob Fanta, Wasser, oder Cola, alles kam sofort wieder raus. Einen Arzt wollte er auch nicht, er hat mir massiv gedroht, wenn ein Arzt auftauchen würde. Dabei ist er wieder eingeschlafen. Ich habe ich dann beobachtet, immer im Hinterkopf doch einen Arzt zu rufen. Er ist dann ständig mit Schmerzensschreien aufgewacht, hat geschimpft und geflucht und sich dabei immer wieder erbrochen. Gehirnerschütterung vermute ich mal stark. Das ging die ganzen Freitag noch so…gegen Abend hat die Übelkeit nachgelassen, auch Dank einer Vomex. Ich war seit 5 Uhr morgens wach, und auch Samstag Nacht habe ich kaum schlafen können. Immer wenn er weg genickt ist, dachte ich mir, ich könnte mich auch mal hinlegen. Aber kaum war ich eingeschlafen, hörte ich Schatz und ich war wieder wach um ihm zu helfen.
Einen Behälter reichen und halten zum erbrechen, ihn aufrichten dazu, ihm einen Schluck Wasser zu geben – einfach alles. Es war super anstrengend, ich hatte ja zu diesen Zeitpunkt nicht mehr geschlafen und war super kaputt. Körperlich und emotional. Das anstrengenste war, seine Unruhe die eingesetzt hat. Er kann die linke Seite gar nicht mehr bewegen. Also der Arm schon noch einigermaßen, aber sonst ist die Muskulatur erschlafft. Schatz lag auf dem Bett und ich sollte ihm immer hoch helfen, daß er sitzen konnte. Kaum war er oben, legte er sich wieder hin, um mir spätestens eine Minute danach wieder die Hand entgegen zustrecken, daß er hoch möchte. Das gingt im Schnitt 6 – 7 mal, dann schlief er wieder für 10, 15 Minuten. Das ging den ganzen Freitag so, die ganze Samstag Nacht so..immer und immer wieder. Er ist auch nicht so leicht, hat noch um die 70 Kilo.
Samstag musste ich dann einkaufen gehen und sagte Schatz das ich mich beeile. Er schlief soweit. Ich flitze los, mit dem Kackgefühl ihn alleine zu lassen. Als ich wieder nach Hause kam, hat sich einer meiner Alpträume erfüllt. Schon im Hausflur hörte ich ein lautes Stöhnen, nahe an Schmerzensschreien. Ich öffnete die Wohnungstür und sah Schatz auf dem Boden liegen! Er wollte auf die Toilette und war wieder gestürzt…ich schmiss meinen Einkauf in die Ecke und half ihm hoch. Es war noch schwieriger als den Tag zuvor, er war noch unbeweglicher geworden. Ich fragte ihn, was er denn wollte und er meinte, er müsse aufs Klo. Nachdem ich ihn wieder auf die Couch (Bett) geschafft hatte, habe ich einen kleinen Behälter geholt und…nun ja…ihn da rein pinkeln lassen. Ich bin dann schnell in die Apotheke und habe nach einer Urinflasche gefragt und einer Bettpfanne….denn so sieht es jetzt aus…mussten sie aber bestellen, am Montag ist es da…naja bis dahin kann ich mir helfen.
Samstag Nacht fing er an wirr zu reden. Immer wieder spricht er davon, daß er weg müsse. Einmal sagte er: Ich muss tatsächlich weg, ich glaube es ja nicht. Meistens aber nur: Ich muss weg…manchmal schimpfte er auch und sagte so Sachen wie: Hau ab – lass mich in Ruhe und sowas..es hat eine Weile gedauert bis ich erkannte, daß er damit nicht mich meint. Denn jedesmal wenn HAU AB sagte, streckte er seine Hand nach mir aus und wollte hoch. Auch hat er immer irgendwas in der Luft gegriffen und er wollte auch einmal seine Jacken einpacken. So krass wie das ist, vielleicht hat er jemanden gesehen, der ihn mitnehmen möchte…aber er will noch nicht. Er wiederholt auch immer wieder: Ich bin Tod, ich bin kaputt…ich muss weg…aber er weiß das bald eine „Reise“ ansteht.
Heute ist Sonntag und er ist viel ruhiger geworden. Naja, manchmal hat er Anfälle von Bettflucht. Ich erkläre ihm dann immer, daß er nicht laufen kann und wieder hinfallen wird. Dabei streichel ich ihn sanft und er beruhigt sich wieder. Aber sonst schläft er sehr viel. Dieses ständige ihm hoch helfen, daß er sitzen kann um sich dann wieder einfach nach hinten fallen zu lassen hat stark nachgelassen. Er sagt mir, wann er Pipi muss und ich mache dann alles andere. Nachts ist das aber schlimmer als Tagsüber..mit der Unruhe und der Bettflucht.
Seit heute morgen akzeptiert er auch wieder Schmerzmittel und das hat ihn auch ruhiger macht. Das ging soweit, das ich heute den Sonntag über immer mal 1, 2 Stunden am Stück schlafen konnte. Ich weiß nicht woher ich die Kraft hatte, die letzten 2 Tage und Nächte, auch wenn ich einmal dachte, ich schaffe das alles nicht. Aber ihn abholen lassen kommt für mich nicht in Frage!
Ich habe mich auch gewandelt, es ist sehr seltsam. Ich liebe ihn nicht weniger, oder habe (ihn) gar aufgegeben. Ich bin auch einerseits immer noch nicht bereit, aber ich habe eine große Akzeptanz erfahren. Dieses egoistische Denken ihn nicht gehen lassen zu wollen/können ist nicht mehr vorhanden. Ich möchte das er erlöst wird von seinen Schmerzen und seinem Leid. Es zerreisst mir mein Herz, aber es ist noch schlimmer einen geliebten Menschen so zu sehen…zu sehen wie er sich quält, wie er klagt, daß er nicht mehr kann. Es geht nicht darum, daß mir die Pflege zuviel wird, oder so. Irgendwie ist es ok. Es ist eine Herausforderung, aber auch eine tiefe Erfahrung. Aber er leidet so seit seinem Sturz, mehr denn je…das tut mir so unendlich weh…es ist unglaublich hart für mich das zu sagen und einzugestehen – aber ich wünsche mir, daß er nicht mehr leiden muss, das er bald erlöst ist…
Zwischen seinem Schimpfen und Fluchen sagt er mir immer wie leid ihm das alles tut, ich wäre ja noch so jung. Er ist unsagbar dankbar das ich bei ihm bin. Wenn ihm etwas nicht schnell genug wird, schimpft er mich an, sagt aber gleichzeitig hinterher, daß er das nicht so meint. Ich weiß daß Schatz – es ist ok. Es ist halt eine richtige Scheiß Situation…für ihn vorallem. Sterben ist wahnsinnig anstrengend und frustriert ihn. Es geht einerseits ihm nicht schnell genug, auf der anderen Seite will er noch nicht. Er greift ihn die Luft und sagt zu „irgendjemanden“ Hau ab“ und „lass mich in Ruh“.
Er hat seit Freitag nichts mehr gegessen und den Tag davor auch nur morgens und abends je eine halbe TK Pizza. Trinken fast gar nicht..wenn er was trinkt, ist es nur ein kleiner Schluck, oder 2..mehr nicht. Sein Urin ist dementsprechend dunkel und riecht starkt. Das Urinieren klappt ganz gut, geht nichts daneben und ich mache das gleich weg, klar. Etwas Angst habe ich vor Stuhlgang. Nicht wegen dem Geruch, oder weil es Stuhlgang ist – es ist, ich habe erst am Montag eine Bettpfanne…ich hatte eine relativ flache Schüssel, weil er einmal meinte er müsste „groß“, aber die war zu flach (sein Po lag auf) und der Rand zu hart. Das tat ihm weh. Er musste aber dann doch nicht. Morgen habe ich wie gesagt eine Bettpfanne und dann klappt das auch bestimmt. Er muss ja mal irgendwann, auch wenn er nichts mehr gegessen hatte die letzten Tage, aber etwas ist ja auf jeden Fall noch im Darm. Soo schnell geht Verdauung auch nicht..manche Sachen bleiben bis zu 60 Stunden im Körper, bevor es ausgeschieden wird.
Ich kann das alles schlecht einordnen. Kommt das alles von seinem Sturz? Hat der Sturz nur das Ende beschleunigt? Wie wäre er drauf, wenn er nicht gestürzt wäre…sicherlich ginge es ihm besser als jetzt…Er verweigert immer noch einen Arzt. Die würden ihn mit nehmen und vielleicht nicht mehr nach Hause lassen. So denkt er, aber die bringen einen wieder nach Hause, wenn das der Wunsch des Sterbenden ist. Aber das will er nicht verstehen. Er will unter gar keinen Umständen in ein Krankenhaus. Selbst wenn er jetzt ..keine Ahnung…bewusstlos wird, oder einen Schlaganfall, Herzinfarkt, Erstickungsanfall hat – soll ich es zulassen. Er ist nicht mehr zu retten gesundheitlich. Alles andere wäre nur eine weitere und längere Quälerei. Für jemanden, der das nicht kennt, ist das alles nicht nachzuvollziehen. Ich hätte das früher auch nicht so gesehen. Es ist alles richtig krass…
Langsam wird es dunkel und etwas kühl in der Wohnung. Ich mache mal den Ofen an, dann wird es schön warm.
Bis dann
Veronika,liebe Veronika ,
Du machst was durch zur Zeit.Mensch Meier.Du schreibst das so das man fast dabei ist.Vor einiger Zeit noch in der Trauer über Euren Freund und nun will Dein Mann folgen. Nein ich glaub eigentlich nicht das er das will und heute beim lesen erkenne ich erst mal den Ernst der Situation. Denn ich dachte fest ! daran das er sich erholt wenn er keine Chemo bekommt. Aber jetzt läuft trotzdem „die Uhr“.Was der Mensch eine Kraft erbringen kann, in so einer Stuation seinen liebsten zu versorgen , ist eine große Leistung.Und wenn sich im – traurigen Sinne – – alles verändert hat , dann werden die Pflegenden erst mal zusammenklappen. —Ich denk an Dich.Pamela.
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